Menschenrechte statt Moral-Distancing – Online-Lunchtalk zum Lieferkettengesetz am 29. September 2020 – ein Review

Im Zuge des Kik-Prozesses wurde vor dem Landgericht Dortmund über die Haftbarkeit des Textil-Discounters entschieden. Denn als am 11. September 2012 ein Feuer in einer Fabrik in Karachi, Pakistan, ausbrach, starben 250 Menschen. Diese Fabrik lieferte innerhalb von fünf Jahren 70 Prozent ihrer Produktion an Kik. Die Aushandlung des Falls vor dem Landgericht Dortmund war ein Präzedenzfall – der jedoch an der Verjährungsfrist des pakistanischen Rechts scheiterte.

„Im Kern ist bis dato nicht definiert, welche Verantwortung Unternehmen für ihre Zulieferbetriebe tragen“, erklärt Saage-Maaß (ECCHR) und spricht sich für ein verbindliches Lieferkettengesetz aus. „Wir müssen definieren, in welchem globalen Maßstab deutsche Unternehmen Verantwortung tragen.“ Zudem solle ein Lieferkettengesetz komplett auf deutschem Recht fußen, da es schwierig sei, nach ausländischem Recht zu verhandeln.

Auch Dr. Carsten Stender, Abteilungsleiter ‚Europäische und Internationale Beschäftigungs- und Sozialpolitik‘ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales betonte wie wichtig es sei, auf ein verpflichtendes Lieferkettengesetzt zu pochen: „Wir brauchen einen Tiger und keinen Bettvorleger damit das Gesetz wirksam wird. Die Freiwilligkeit hat nach zwei Rundens des NAP-Monitorings ihr Ende gefunden“ erklärte Stender vergangenen Dienstag beim Online-Lunchtalk. Ein Kabinettsbeschluss liegt noch nicht vor. Zur Zeit wird über das Lieferkettengesetz auf verschiedenen Ebenen bei verschiedenen Ministerien verhandelt – bisher ohne Beschluss.

Stender legte dar, dass bisher bei drei grundlegenden Punkten noch keine Einigung zwischen den Verhandlungsparteien bestehe. Erstens wurde noch nicht endgültig entschieden, ab welchem Schwellenwert das nationale Lieferkettengesetz greift. 5.000 Beschäftigte, wie es in dem französischen Modell der Fall ist, seien zu hoch, 250 Beschäftigte hingegen seien zu wenig. Auch muss ausgehandelt werden, welcher Zeitraum bis zum Inkrafttreten des Gesetzes angebracht ist, beispielsweise etwa 2-4 Jahre. In solchen Punkten ließe sich gut Kompromisse finden.

Hingegen stellt die Frage wie und in welchem Ausmaß deutsche Unternehmen haftbar gemacht werden können einen Punkt dar, bei dem sich nur schwer eine Einigung finden ließe, so Stender. Hier stehen die Forderungen vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung dem Willen vom Bundeswirtschaftsministerium bisher ohne Einigung gegenüber.

Miriam Saage-Maaß, ECCHR über die Diskussionspunkte zwischen den Ministerien aus zivilgesellschaftlicher Sicht. Sie befürchtet, je nach dem, wie man sich einigt, dass ein Sorgfaltspflichtengesetz „praktisch wirkungslos“ werden kann.

Bernd Osterloh, VW Konzern- und Gesamtbetriebsratsvorsitzender und Mitglied des Vorstandes der IG Metall, war einer der ersten Unterzeichner des Aufrufs für ein starkes Lieferkettengesetz. Er findet: „Das Lieferkettengesetz soll sicherstellen, dass deutsche Unternehmen keine Vorprodukte aus dem Ausland beziehen, die unter Missachtung elementarer Menschenrechte gewonnen werden. Das unterstütze ich voll und ganz.“ Denn die zentrale Frage in unserer globalisierten Welt laute, wie man als Unternehmen der gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werde. Das gehe mit verbindlichen Mindeststandards statt freiwilligen Richtlinien einher, so Osterloh.

Bernd Osterloh, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Volkswagen AG im Gespräch mit Johannes Katzan. Nachlesen können Sie das Gespräch hier.

Auch auf europäischer Ebene wird ein Lieferkettengesetz diskutiert, wofür eine nationale Regelung in Deutschland zur Vorlage werden könnte. Es geht darum, einen gesamteuropäischen Rahmen, also ein level playing field, für die rechtliche Wahrung von Menschenrechten im wirtschaftlichen Kontext zu schaffen. „Ein Smartphone hat in seinem Herstellungsprozess etwa 100 Grenzen überwunden. Demnach ist nachhaltige und verantwortungsvolle Produktion nicht mehr nur in bilateralen Gesprächen zu entscheiden.“, sagt Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament, und spricht sich für eine solche Verordnung aus. Dafür könnte Mitte 2021 ein entscheidender Schritt gegangen werden.

Bernd Lange, MEP und Miriam Saage-Maaß, ECCHR, über die unterschiedlichen Ebenen, auf denen zur Zeit über ein Lieferkettengesetz beraten wird.

Um diese globalen Lieferketten in den Fokus zu nehmen wird auch auf UN-Ebene über ein internationales Abkommen gerungen. Dafür finden am 14. Oktober zum sechsten Mal die Verhandlungsgespräche zum sog. Binding Treaty in Genf statt. Eine Regelung auf UN-Ebene könnte den Menschenrechten in den Lieferketten weltweiten Schutz verschaffen – für den sich die Initiative für einen tragbaren Lebensstil weiter einsetzt. Wer selber aktiv werden möchte findet Informationen unter: www.tragbarer-lebensstil.de

Die Hintergründe der Entwicklung des Lieferkettengesetzes können Sie hier nachlesen

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